Elbow-Sänger Guy Garvey im Interview

Elbow Credit Athena Caramitsos

„Wir hatten richtig Spaß“: Nach einem wunderschönen Pandemie-Album kehren die britischen Artrocker Elbow voller Energie zurück. Sänger Guy Garvey zeigt Glücksgefühle über den neuen Groove.

Interview von Werner Herpell

Für manche Elbow-Kenner (diesen Schreiber eingeschlossen) war das in der Corona-Pandemie entstandene, davon musikalisch wie textlich geprägte Elbow-Album „Flying Dream 1“ (2021) ein Höhepunkt der rund 30-jährigen Bandkarriere. Nach den leisen, melancholischen Tönen dieser wunderbar zarten Platte beweisen die Briten nun erneut, dass sie sich nie wiederholen wollen. „Sounds & Books“ hat mit Frontmann Guy Garvey (einem der liebenswertesten Menschen im Pop-Business überhaupt) via Zoom gesprochen – über das aktuelle Elbow-Werk „Audio Vertigo“ (VÖ 22.03.2024; S&B-Review folgt), die Entwicklung der in Bury bei Manchester gegründeten, vor allem im UK enorm populären Artrock-Band, den neuen Groove und seine Begeisterung für die Talking Heads.

Hallo Guy, es ist schön, mit dir dieses Interview zu führen. Vielen Dank schon mal dafür. Als ich dich und Elbow-Bassist Pete Turner vor ein paar Jahren zum ersten Mal traf, unterhielten wir uns in einer alten West-Berliner Kneipe, mit vielen alten Fußballmannschaftsfotos an den Wänden. Ein schöner, gemütlicher Ort für ein Interview. Erinnerst Du Dich daran?

Guy Garvey: Ganz vage, ja. (lacht)

Elbow wollten „ein bisschen Spaß“

Du hast sogar die deutsche WM-Siegermannschaft von 1954 erkannt. Das war mein erster nicht-musikalischer Eindruck von dir, und der war super.

Guy Garvey: Das war ein Glückstreffer, denn ich habe eigentlich gar keine große Ahnung von Fußball (lacht).

Ok, die Zeit ist knapp, also lass uns jetzt über das neue Elbow-Album sprechen. Wie alle eure Alben klingt es überhaupt nicht wie das vorherige. Du gehst nicht gern auf Nummer sicher, oder?

Guy Garvey: Nein. Ich wollte mit diesem Release ein bisschen Spaß haben. Und ja, er macht musikalisch Spaß, wir hatten richtig Spaß dabei.

„Sehr viel Zeug aus dem Leben“

Der Hörer wird deinen Eindruck teilen, denke ich. Dieses Mal ist der Kontrast zum Vorgänger besonders beeindruckend. Denn „Flying Dream 1“ war ja ruhig, düster, traurig – ein Pandemie-Album. Deine Einflüsse: eher späte Talk Talk oder David Sylvian als Radiohead oder Peter Gabriel. Wolltet ihr ein „Flying Dream 2“ vermeiden?

Guy Garvey: Wir lieben diese Platte wirklich und sind immer noch stolz darauf. Die Texte waren sehr aus dem Leben gegriffen – Erinnerungen, Beobachtungen aus der Kindheit, die Kindheit meines Sohnes. Sehr, sehr viel Zeug aus dem Leben. Es war alles so durchdrungen von positiven und negativen Erinnerungen, wegen der Intensität dieser ganzen Situation. Als wir in das Theater in Brighton kamen, wo wir „Flying Dream 1“ aufnahmen, hatten wir uns die längste Zeit in unserer Bandgeschichte nicht gesehen. Für die neue Platte hingegen sind wir in ein Wohnstudio in den Cotswolds gegangen, haben zusammen gegessen und getrunken, zusammen gespielt und viel gelacht. Jetzt hieß es: Lasst uns etwas Schmutziges schreiben, lasst uns etwas Energiegeladenes machen, wir könnten unser Konzert-Set mit vier oder fünf (Songs) davon aufpeppen, ohne Elbow-Puristen zu verärgern.

Garvey wollte Musik, die aufmuntert

Das neue Album „Audio Vertigo“ ist vielleicht die groove-orientierteste, zugänglichste Elbow-Platte bisher. Eine Art „happy music“ von Elbow. Der gospelige Opener, „Lovers‘ Leap“, „Her To The Earth“, „The Picture“ zum Beispiel sind eine reine Freude – Musik für Sonnenaufgänge, wie ich finde. Es gab viele gute Gefühle während der Sessions, oder? Du hast das selbst als „triumphale Stimmungen“ bezeichnet.

Guy Garvey: Ja. Zum Beispiel „Lovers‘ Leap“. Ich war sehr besorgt über die politische Spaltung im In- und Ausland, den Aufstieg des Populismus, einen neuen schrecklichen Krieg in Europa. Ursprünglich hatte ich also dieses kleine Gedicht geschrieben und über den Beat gesungen (singt) „di di dip ba ba dip“ und „raining down on London town“… Es hatte diesen politischen Einschlag, aber dann dachte ich: Nein, das würde ich nicht hören wollen. Gerade in der Vaterschaftsphase ist die Welt eine noch schwierigere geworden – aber ich muss diesen Gefühlen auch nicht nachgehen. Denn im Moment will ich mit meinem Sohn „Gladiator“ gucken, ich will mit ihm „Rocket League“ auf der Playstation spielen – und ich will Musik hören, die mich aufmuntert.

Der Prozess als Teil der Kunstform

Bitte, Guy, nenne mir deine Schlüsseltracks von „Audio Vertigo“. Auf welche Songs sind du und deine Bandkollegen besonders stolz? Und was ist mit den drei kurzen Live-im-Studio-Schnipseln auf dem Album? Wie kam es zu dieser Mixtur?

Guy Garvey: Wir haben schon immer sowas gemacht, wir hatten immer mal diese kleinen Studio-Schnappschüsse auf einem Album. Das hat mir gefallen – der Prozess als Teil der Kunstform. Ich liebe solche Sachen. Und die Schlüsseltracks? „Things I’ve Been Telling Myself For Years“, „Very Heaven“ und „Balu“.

Das kommt für mich jetzt etwas überraschend. Ich war sicher, du würdest auch den Album-Closer „From The River“ wählen, meiner Meinung nach einer der schönsten Uptempo-Songs deiner gesamten Karriere. Anspruchsvoller jazziger Pop, der mich an „Moving The River“ von Prefab Sprout erinnert hat. Nun, was kommt als nächstes für Elbow? Ein weiterer Richtungswechsel?

Guy Garvey: Ach, es kommt sehr selten so, wie wir es uns vorstellen. Aber bei diesem Album war es so. Vor allem Craig bewegt sich ja in Richtung Dance-Produktion, Alex ist am Schlagzeug dabei und schreibt zum ersten Mal mit, Pete teilt meine Liebe zum Afrobeat. Und ich habe zum ersten Mal richtig Spaß an den Texten gespürt. Ich bin sehr gespannt, wohin das alles führen könnte. (…) Kürzlich habe ich „Cities“ von den Talking Heads (vom 1980er Album „Fear Of Music“) gehört – es lief im Radio, und es hat meine Aufmerksamkeit sofort geweckt. Das könnte ein wirklich guter Aufhänger für die nächste Platte sein. Das nächste Album könnte, glaube ich, sogar noch ein bisschen frenetischer, noch ein bisschen cooler sein, noch mehr Spaß machen. Also ja, die Talking Heads haben mich einfach wieder gepackt.

Guy Garvey: Elbow sind sehr gute Freunde

Eine ganz allgemeine Frage zu dir und der Band: Elbow haben auf mich und ihre Fans immer den Eindruck gemacht, als wärt ihr eine Gruppe alter Freunde, also beste Kumpels. Ich glaube nicht, dass das ein Klischee ist.

Guy Garvey: Ja, wir sind sehr gute Freunde. So viele Leute kommen ins mittlere Alter und werden zu griesgrämigen Bastarden, aber wenn man auf uns schaut, so zeigt sich jeder von seiner besten Seite. Wir alle sind reifer geworden. Wir gehen ein bisschen geduldiger miteinander um. Und das führt letztlich dazu, dass wir viel mehr Spaß haben.

Du bist im März 50 Jahre alt – was bedeutet das für dich persönlich?

Guy Garvey: Das ist doch ein Hammer, oder? (lacht)

Guy, es war mir wirklich ein großes Vergnügen, mit dir zu sprechen – vielen Dank!

Guy Garvey: Danke dir auch sehr, Werner. Es war wunderbar, mit dir zu plaudern. Beim nächsten Mal dann gern wieder in einer Kneipe.

Das Album „Audio Vertigo“ von Elbow erscheint am 22.03.2024 bei Polydor. (Beitragsbild von Athena Caramitsos)

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